Die vor einigen Jahren aus einem Urlaub – wahrscheinlich der am Bodensee – mitgebrachten Gratispostkarten, die verschiedene Szenen im Vintage-Stil, aber immer mit leuchtend roten Blumen zeigen, entpuppten sich eine ganze Weile später durch das Hören von Sabine Rohlfs hervorragenden Radiobeitrag Reisende Pflanzen – Über die Kolonialgeschichte unserer Gärten und Balkone als Teil der Arbeit
Geraniums Are Never Red. Im Radiobeitrag wird noch ein zweites Werk von Uriel Orlow erwähnt: Die Ausstellung What Plants Were Called Before They Had a Name beschäftigte sich damit, wie Pflanzen bezeichnet wurden, bevor sie im Zuge von europäischem Kolonialismus und Forschungsreisen vermeintlich erstmals Namen erhielten. Daran erinnerte ich mich dieser Tage, als der Golf von Mexiko, der nicht immer schon von allen so genannt wurde, für den offiziellen Sprachgebrauch der USA einen neuen Namen erhielt.
Und dann schmiss ich heute noch ein sehr gemochtes, aber mittlerweile komplett verschlissenes T-Shirt in den Müll, das bereits ein identischer Ersatz für ein T-Shirt war, das mir vor vielen Jahren beim Urlaub auf Madeira über Nacht vom Balkon wehte und nicht wieder aufzufinden war. Vor dem Balkon im Hotelgarten stand ein zauberhaft blühender Afrikanischer Tulpenbaum (Spathodea campanulata), der je nach Gegend und Sprache einen einheimischen Namen hat.
Als jugendlicher Alkoholentdecker trank ich, wenn mir der Sinn nicht nach Karlsquell oder Sangria stand, eine Spätlese namens Oppenheimer Krötenbrunnen. Der Preis war niedrig, aber der Name schon Kaufargument genug. Dass Oppenheimer Krötenbrunnen eine Weinlage und nicht den Wein selbst bezeichnet, war mir bis heute nicht bekannt. In Erinnerung gerufen wurde mir der Wein durch eine Speisekarte.
Es gab keine feste Konzertgruppe, nur einen losen Haufen von Leuten im Kneipenkollektiv, die nach eigenen Interessen Konzerte veranstalteten. Das waren – damals wie heute – in der Mehrheit Punk-/Hardcore-/Crust-Konzerte. Laut Plenumsbeschluss durfte der Eintrittspreis nicht mehr als 2,50 Euro betragen. Zusammen mit einigen anderen versuchte ich das Ganze etwas aufzubrechen und auch andere Stilrichtungen zu etablieren. Und so kam es, dass ich im Jahr 2003 ein Konzert mit Scout Niblett im VeB Lübeck auf die Beine stellte.
In diesem Jahr beginnt die kurze Zeit, in der das frische Blätterwerk des Baums vor dem Fenster noch licht genug ist, während die Sonne schon hoch genug über dem Nachbarhaus steht, um das Zimmer komplett in grünes Licht zu tauchen, etwa drei Wochen früher als noch vor zwei Jahren.
Vor wenigen Monaten, vielleicht im Oktober oder November, hatte sich eine Kreuzspinne an der Innenseite meines Küchenfensters häuslich niedergelassen. Meist saß sie regungslos oben am Rahmen, aber regelmäßig auch in der Mitte ihres Netzes, das sie in der oberen Scheibenhälfte immer wieder neu spann. Wenn ich dann das Fenster nicht vorsichtig genug auf Kipp stellte oder schloss, huschte das erschrockene Tier schnell an seinen Stammplatz. So ging das eine ganze Weile. Offensichtlich ließ sich auch an diesem seltsamen Ort genug Beute machen. Neulich verzog sich die Spinne an die Küchendecke und blieb dort für einige Tage sitzen. Dann lag sie tot auf dem Fußboden.
Ich legte den Spinnenkadaver auf die Fensterbank und kümmerte mich zunächst nicht weiter darum. Nachdem eine Auferstehung von den Toten am heutigen Ostersonntag ausgeblieben ist, habe ich ihn soeben im Biomüll entsorgt.
Vorgestern vor einer Woche in den Großen Saal der Philharmonie Berlin zum Konzert von Six Pianos. Etwas abgehetzt und kurz vor knapp den Sitzplatz in mittlerer Entfernung, aber mit guter Sicht erreicht. Einfach mal rechtzeitig los, ist nicht meine größte Stärke.
Zum Glück bestuhlt. Nachdem ich vorher eine Woche krank im Bett gelegen und währenddessen DJ Krush im Lido verpasst hatte, war es mir sehr recht, vor drei Tagen beim gut besuchten, aber nicht ausverkauften Konzert von Lucinda Williams im Huxleys sitzen zu können und nicht stehen zu müssen.
Heute jährt sich Lou Reeds Geburtstag zum 82. Mal. Auch wenn die nur langsam abklingende Erkältung mit ihren dumpfen Ohren die Lust auf Musik noch dämpft, ein passender Tag, um sich durch die Alben des kürzlich gestorbenen Kiev Stingl zu hören, der als deutsche Antwort auf oder auch Klon von Lou Reed galt.
Seit heute gehört die dauerhaft-provisorische, im Flur von einem Türrahmen zum anderen gespannte Leine aus Paketschnur und Pinnwandnadeln, an der nach Wochentagen geordnet FFP2-Masken hingen, vorerst der Vergangenheit an.