Heute jährt sich Lou Reeds Geburtstag zum 82. Mal. Auch wenn die nur langsam abklingende Erkältung mit ihren dumpfen Ohren die Lust auf Musik noch dämpft, ein passender Tag, um sich durch die Alben des kürzlich gestorbenen Kiev Stingl zu hören, der als deutsche Antwort auf oder auch Klon von Lou Reed galt.
Vor etlichen Jahren sah ich auf der LP-Innenhülle von Achim Reichels Blues in Blond eine Werbung für Kiev Stingls drittes Album Ich wünsch den Deutschen alles Gute, in der ein Hans Christiansen schreibt:
Die aus Satzfragmenten zusammengeführten Messages (?) sind codierte Aussagen, vielsprachige (deutsch, englisch, französisch) Kommentare zu unserer Welt in dieser Zeit. Kiev Stingl seziert Sprache und puzzelt gallig-bitter Wort-SPIELE. Neue Deutsche Welle – neu? Gibt's sie nicht bereits seit der ersten Stingl-LP aus dem Jahre 1975?
Das liest sich genau so albern, aber neugierig machend, wie das Albumcover aussieht. Ich hatte mir dann immer mal wieder vorgenommen, in die Musik reinzuhören, es aber genau so oft doch nicht getan. Die Nachricht vom Tod Kiev Stingls hat mich wieder daran erinnert und ich kann nun bestätigen, dass das, was Frank Apunkt Schneider in seinem Buch Als die Welt noch unterging über den Künstler und seine drei ersten Alben schreibt, recht gut zutrifft:
Proto-Punk-Poet, mit Velvet-Lou-Reed-Television-Paraphrasen und begradigten Tim-Buckley-Schlenkern als Unterlage für Beat-inspirierte Lyrics-Lyrik zwischen Dirty-Old-Manierismen, Wondratscheck-Rip-Off und handgeschnitztem Simultanismus. Ab der zweiten LP [...] mit deutlichen New-Wave-Anleihen: kraftvolle Ein-Akkord-Monotonie, schwebende Arrangements, [...] weniger selbstbesoffene Texte; ein ebenso eigen- wie randständiger Beitrag zur Früh-NDW. Dritte LP immer noch recht gut, obwohl das Verfallsdatum bereits mitklingt.
Dass die ersten drei Alben Kiev Stingls in ihrer Zeit eine seltsam-interessante Besonderheit waren, lässt sich leicht nachvollziehen. Um heutzutage die zeitlos-gelungenen Momente anzuerkennen, muss man wohl den unangenehm-männlichen Grundton großzügig überhören wollen. Nun aber zurück unter die Bettdecke und den Rest der Erkältung auskurieren.