Drei Tage A L’ARME! VOL. XII FINALE
Aus irgendeinem Übermut heraus hatte ich mir einen Festivalpass für alle drei Tage vom A L'ARME!-Festival gekauft, das 2024 vom 8. bis 10. August letztmalig stattfand. Am ersten Abend brachte mich ein Zug gerade eben noch bis zum Ostbahnhof, während meine Begleitung sich wegen eines herrenlosen Koffers und der daraus folgenden Sperrung am Bahnhof Alexanderplatz verspätete.
Nur deshalb schaute ich mir wahrscheinlich den Auftakt im Radialsystem an, den Auftritt von Leila Bordreuil, die zunächst ihr Cello langsam hin und her bewegte, so leise brummend-wabernde Töne erzeugte, aber bald schon mit Hilfe von verzerrenden Effekten schmerzhaft laut – nach Ohrstöpseln war mir irgendwie nicht – die Halle ausfüllte. Gefiel mir gut, vielleicht zehn Minuten zu lang. Anschließend passte es, abgesehen von einzelnen Passagen, im Zusammenspiel bei Narr // Steidle, begleitet durch Live Visuals von Saou TV, nicht so richtig zusammen. Antumbra von Stemeseder Lillinger war dagegen so gut wie erhofft, so dass ich mir am letzten Abend noch das Album am Plattenstand kaufte. Schwer zu beschreibende Musik. Schlagzeug, Piano, etliche Instrumente mehr, Elektronik, schief-melodisch, rhythmisch-fragmentarisch, was weiß ich. Den ersten Abend beendeten Haino/Salvo/Nilssen-Love brachial und laut. Laut im Sinne von SEHR LAUT. Gitarre gegen Saxophon gegen Schlagzeug. Mit meiner Begleitung noch ein Bier zum Abschluss und dann knapp die letzte Ringbahn erwischt. Mein Mitgefühl der Person, die vom Ostbahnhof Ahrensfelde erreichen wollte, aber nur noch eine S‑Bahn bis Lichtenberg nehmen konnte.
Leila Bordreuil Solo || Leila Bordreuil (US) – Cello, Electronics
Narr // Steidle + Saou TV || Steffi Narr (DE) – Electric Guitar | Oliver Steidle (DE) – Drums | Saou TV (JP/DE) – Live Visuals
Antumbra: Stemeseder–Lillinger || Elias Stemeseder (AT/DE) – Synthesizer, Electronics | Christian Lillinger (DE) – Drums, Electronics
Haino/Salvo/Nilssen-Love || Keiji Haino (JP) – Electric Guitar, Vocals | Sofía Salvo (AR/DE) – Baritone Saxophone | Paal Nilssen-Love (NO) – Drums
Einlass war am zweiten Abend nicht am rechten, sondern am linken Tor. Die Lautstärke des Vorabends, so nahm ich an, hatte einige große Äste von einem Baum direkt am ursprünglichen Eingang abbrechen lassen. Ich kam zu den letzten Sätzen der Begrüßung an und kurz darauf begann Økse eine Art Hip-Hop-Jazz mit DJ zu spielen. Halb free, halb Song. Auf dem Album auch mit vier Rappern, live bei diesem Auftritt aber ohne. Nicht ganz mein Ding, aber das lässige Schlagzeugspiel von Savannah Harris begeisterte mich sehr. Mit einem reichlich sauren Sauerbier namens Berliner Eiche in der Hand rein in den etwas kleineren Saal, in den man im Gegensatz zur größeren Halle Getränke mitnehmen durfte, und sitzend Ephemeral Fragments ergänzt durch Emilio Gordoa gelauscht. Ruhig, mit einem irgendwie traurigen Grundton, dazu passend hübsch krakelige Live-Zeichnungen von Lena Czerniawska auf der Leinwand über der Bühne. Von I Like To Sleep hatte ich mich im Vorfeld durch ein vergleichsweise konventielles Stück täuschen lassen. Die Band bollerte – ob der Sound vom Schlagzeug wirklich so gewollt war? – kompromisslos durch ihren Auftritt. Nicht schlecht, Vibraphon höre ich gerne, Baritongitarre ist nicht ganz alltäglich, etwas entspannter wäre mir aber auch recht gewesen. Vielleicht war ich durch die vorangegangenen Auftritte schon langsam weichgekocht oder hatte in meinem Leben noch nicht genug Manowar-Konzerte besucht (keins), aber es folgte ein echter Härtetest in Sachen Lautstärke. Yexxen war auch mit Ohrstöpseln hart an der Grenze des Aushaltbaren. Das war so ausdauernd brachial und ausufernd intensiv, dass ich praktisch wie gelähmt vor der Bühne stand. Es war herrlich! Dann sollte getanzt werden und es wurde getanzt. Naaljos Ljom drehten den Abend zum Abschluss mit ihrer elektronisch aufgebrochenen und erweiterten norwegischen Folklore nochmal in eine andere Richtung. Mich konnte das zu später Stunde nicht mehr vollständig packen.
Gefahrenbereich
Økse || Savannah Harris (US) – drums | Val Jeanty (US) – electronics | Mette Rasmussen (NO/DK) – alto saxophone | Petter Eldh (SE/DE) – double-bass, electric bass, electronics
Ephemeral Fragments & 1:∞ Gordoa Czerniawska || Korhan Erel (DE) – synthesizer | Florian Walter (DE) – tubax | Emily Wittbrodt (DE) – cello | Emilio Gordoa (MX/DE) – snare, electronics | Lena Czerniawska (PL/DE) – drawing
I Like To Sleep || Amund Storløkken Åse (NO) – vibraphone, electronics | Nicolas Leirtrø (NO) – baritone guitar | Øyvind Leite (NO) – drums
Yexxen || Sofía Salvo (AR/DE) – baritone saxophone | Claire Nico (CA/DE) – lap steel guitar | Guido Kohn (AR/DE) – electric bass | Bobby Glew (UK/DE) – drums, electronics
Naaljos Ljom || Anders Hana (NO) – mouth harp, fiddle, Hardanger fiddle, langeleik | Morten Joh (NO) – analog synths, drum machine, Norwegian folk drum
Mit deutlichen Ermüdungserscheinungen machte ich mich zum dritten Festivaltag auf. Der Abschlussabend war der im Mai 2024 gestorbenen Monika Döring, a music-obsessed icon of Berlin’s cultural scene
, gewidmet. In einem Interview von 2023 erwähnt sie eine Reihe der auftretenden Künstler*innen. Ein Polizeieinsatz störte den S‑Bahnverkehr und ich erreichte den Auftritt von hÄK/Danzeisen erst zwei Stücke vor Ende. Halb so schlimm, ich hatte die Band vor nicht allzu langer Zeit – ok, 2021, ist auch schon einen Moment her – live gesehen. In der Halle spielte Caspar Brötzmann erst alleine Bass, dann zusammen mit Farida Amadou. Beide hatten sichtbar Spaß am gemeinsamen Auftritt. Zwischendurch schnell nachschauen, wie es bei HSV gegen Hertha steht (1:0). Zu Gudrun Guts technoider Elektromusik tanzte das Publikum und ich war sehr froh, Musik zu hören, die dichter als alles bisher Gehörte am klassischen Popsongformat dran war. Die den Abend über von der anderen Spreeseite herüberklingende Bluesband war nicht die gewünschte Abwechslung. Ich machte mit meiner zuckerfreien Kola zu lange draußen Pause, verpasste so den Anfang von Johansson/Jelinek und kam nicht mehr in den Saal. Mist, komplett voll. Zu meinem Glück verließen zwischendurch genügend Personen den Saal, so dass ich mit anderen Wartenden nachrücken konnte. Die wenigen Minuten, die ich noch vom Konzert mitbekam, waren das Warten wert. Angenehm dezent. Der wahrscheinlich unaufdringlichste Auftritt des Festivals. Ich bin zwar noch nicht so wie Sven-Åke Johansson über 80 Jahre alt, aber mir taten mittlerweile die Füße weh und etwas zu müde war ich auch. Für Frank Bretschneider und danach Byetone nahm ich auf der Sitztribüne Platz und hörte mir das Geschehen aus der Ferne an. Frank Bretschneiders elektronische Musik begann mir etwas langweilig, legte aber noch kräftig zu bis die Tribüne vibrierte. Byetone ballerte von Anfang bis Ende geraden Techno durch die ihm zur Verfügung stehende Zeit. Ich tanzte im Sitzen mit. Keiji Hainos Soloauftritt, den ich mir nicht vollständig anhörte, führte noch einmal zurück ins Lärmige. Im Publikum waren einige zugehaltene Ohren zu beobachten. Die Zielgerade des Abends war wieder elektronisch. Leider fehlt mir nach zwei Tagen schon weitestgehend die Erinnerung an den Auftritt von Grischa Lichtenberger. Meine musikalische Aufnahmefähigkeit war zu dem Zeitpunkt – wenig überraschend – erschöpft. Vielleicht lag es auch an den erschöpften Vorräten im Verkauf und dem damit erzwungenen Bierwechsel für das letzte Getränk. Ich meine aber, dass mir das, was ich hörte und sah, ziemlich gut gefiel. Robert Lippok haute dann noch auf eine Trommel, machte dazu oder daraus elektronische Musik, während Lucas Gutierrez hübsche Bilder und Formen auf die Leinwand schickte. Ich hörte mir noch ein paar Minuten von Electro Indigos DJ-Set an, konnte mich zum Tanzen aber nicht mehr aufraffen und bevor ich zu dem harten Techno im Stehen einschlief, machte ich die Biege.
hÄK/Danzeisen || Bernd Nobert Wuertz (DE) – electronics | Philipp Danzeisen (DE) – drums
Caspar Brötzmann Bass Totem / Amadou || Caspar Brötzmann (DE) – long scale electric bass, vocals | Farida Amadou (BE) – electric bass
Gudrun Gut (Monika Enterprise) || Gudrun Gut (DE) – modular, voice
Johansson/Jelinek || Sven-Åke Johansson (SE/DE) – percussion | Jan Jelinek (DE) – modular
Frank Bretschneider (raster) || Frank Bretschneider (DE) – modular
Byetone (raster) || Olaf Bender (DE) – modular AV
Keiji Haino Solo || Keiji Haino (JP) – electric guitar, vocals
Grischa Lichtenberger (raster) || Grischa Lichtenberger (DE) – electronics / AV
Lippok/Gutierrez AV || Robert Lippok (DE) – drum machines, computer || Lucas Gutierrez (AR) — visuals
Electric Indigo (female:pressure) || Electric Indigo (AT) — DJ Set
Fotos vom Festival von Udo Siegfriedt, auf denen etwas mehr zu erkennen ist: