Ein paar Tage in Bad Gastein

In Berlin Südkreuz pünktlich in den Zug. Ein LKW-Anfahrschaden an einer Bahnbrücke sorgt für zweimaligen Halt in Bamberg. Umstieg in München, wo die Tauben aus einem Putzeimer trinken. Erste Berge zeigen sich. Nach der Ankunft in Badgastein, wie es am Bahnhof in einem Wort heißt, steil bergab ins Hotel. Auf zum berühmten Wasserfall und zielsicher weiter in ein Lokal, wo Gäste auf englisch begrüßt werden und Roasted Broccoli angeboten wird. Schließlich ist das hier das Berlin der Alpen. Ein neonbeleuchtetes Treppenprovisorium hinauf zum Hotel. Sternenhimmel.

Frühstück beim Dorfbäcker, dessen kaputte Kaffeemaschine später im Naturladen – Honig, Äpfel, Wein besorgen – Gesprächsthema Nummer eins ist. Seilbahn, Stubnerkogel, Sonnenschein. In alle Himmelsrichtungen Aussicht, Aussicht, Aussicht, Aussicht. Großglockner inklusive. Unter der 140m langen Hängebrücke, die Auslöser für den Urlaubszielort war, bewegen sich gemächlich Murmeltiere. Hollerwasser, Brettljause, Kaiserschmarrn. Hinab ins Tal und im Supermarkt mit weiteren Vorräten eindecken. Im Hotelrestaurant mit versalzenem Zander und ungesalzenen Spätzle sehr durchschnittlich essen.

Der Ort verschwindet immer wieder im Wolkennebel. Meisen auf Anhieb mit Sonnenblumenkernen von regelmäßigen Balkonbesuchen überzeugt. Wasserfallweg, die ersten acht Punkte für die Gasteiner Wandernadel sammeln. Die Wasserflasche mit Radonwasser aus der Elisabethquelle auffüllen. Keine Fledermäuse in der Höhle der Fledermausquelle. Kunst am Weg: THE WIND IN THE TREES IS A SINGLE BREATH OF THE EARTH. QUIETLY ANGELS MAKE A CHOREOGRAPHY IN THE ROSE GARDEN. TOO FAST TO LIVE TOO YOUNG TO DIE. Das Wasser rauscht und plätschert, Kosmogramme laden zur Meditation ein. In Badbruck zum Bus rennen, in Bad Hofgastein an der Talstation der Schlossalmbahn wieder aussteigen. Durch Nebelwolken nach oben, nicht sehen können, wohin die Fahrt geht, woher sie kommt. Kaum Menschen, kaum Aussicht. Die Bärsteinalm serviert selbstgeschossenes Gamsragout, Zirbenbier und Pofesen. Mit dem Bus weiter ins Hoteldorf Grüner Baum fahren, um von dort auf der Kaiser-Wilhelm-Promenade vorbei an Laternenpfählen mit Zwergenreimen, in den Wald gesetzten Kunstinstallationen und einem nussgierigen Eichhörnchen ins Hotel zu wandern.

Auf der anderen Seite auf den Graukogel, Sessellift statt Seilbahn. An der Bergstation genießen die Schweine Freddy und Pumba Schweineeimeressensreste. Erst eine Hälfte Zirbenweg, dann auf schmalem Pfad weiter zum Palfnersee wandern. Mein rückengeplagter Asthmakörper will beim letzten Anstieg kapitulieren und freut sich sehr, als der See endlich zwischen all dem Gestein auftaucht. Apfel essen, Fische gucken und über die zweite Hälfte Zirbenweg zurück. Rauf ist es die Luft, runter sind es die Knie. Mit dem Sessellift zur Mittelstation fahren, Kaspressknödelsuppe essen und zu Fuß zwischen flechtenbehangenen Bäumen hindurch den Berg hinabsteigen. Auf dem Forstweg breitet sich großflächig Gemeiner Orangebecherling oder ein ähnlicher Pilz aus der Familie der Feuerkissenverwandten aus. Zwei ausgebüchste Ziegen genießen das viel bessere Grünzeug neben der Weide, wir trinken Gelben Muskateller zum Abendbrot.

Zum Bücherkauf – lokale Sagen – und Frühstück nach Bad Hofgastein. Heute eine wolkenlose, himmelblaue Fahrt mit der Schlossalmbahn. Gleich hinter der Bergstation läuft mir ein Schwarzhörniger Totengräber über den Weg. Einmal gemütlich um den Schlossalmsee genannten Speicherteich und dann eine kurze, einfache Gratwanderung auf die Hirschkarspitze. Weitere Punkte für die Wandernadel sammeln. Zeitig zurück, zeitig essen gehen und das Restaurant verlassen, als sich die Nebentische füllen.

Die letzte Gelegenheit vor den Bauarbeiten an der Talstation für eine zweite Fahrt auf den Stubnerkogel nutzen. Ein Fernrohr mit Augmented Reality zeigt die Namen und Höhen der umliegenden Gipfel. Wieder Murmeltiere unterhalb der Hängebrücke. Von der Mittelstation vorbei an gemütlichen, aber starrenden Kühen zur Stubneralm. Letzter Betriebstag vor Saisonende. Glück gehabt! Buttermilch mit Preiselbeeren, Melissensaft und Brettljause. Auf dem Rückweg leider knapp nicht mitten in eine Kuhherde geraten. Seilbahn ins Tal, Bus nach Bad Gastein.

Es nebelt und regnet. Ein Auto macht mit der Aufschrift ... wo Freud Urlaub machte – und wo Urlaub Freude macht! Werbung für eine Unterkunft. Auf der Kaiserin-Elisabeth-Promenade entlang der Gasteiner Ache nach Böckstein mehr spaziert als gewandert. Mit einem großen Denkmal wird auf dem Friedhof der beim Bau der Tauernbahn verunglückten Arbeiter gedacht. Zu sehen ist auch das Grab von Hans Kialka, von 1965 bis 1969 Werkleiter im Volkswagenwerk Kassel, später im Vorstand der Audi NSU Auto Union AG. Eher weniger interessant. Ein kurzer Blick in die Pfarrkirche Maria, Mutter vom guten Rat. Das Montanmuseum öffnet erst am Nachmittag und so geht es an der anderen Uferseite zurück. Es regnet längst nicht mehr, aber dichte Nebelwolken ziehen nun am Berg entlang durch die Bäume. In der auf dem Weg liegenden Konditorei eine Tüte hausgemachter Pralinen zusammenstellen – mit dabei natürlich auch Zirbenpralinen. Am Nachmittag nerviger Zimmerwechsel, weil die lautstarken, gestern begonnenen Bauarbeiten in den Nebenzimmern noch länger andauern. Pizza mit Wasserfallblick. Golden glänzende Leuchten in sechsblättriger Pflanzenoptik verzieren den Wiener Saal des Grand Hotel de l'Europe, in dem das Duo Schober/Fraiß mit Klavier und Klarinette im Rahmen der Kammermusik-Reihe Du holde Kunst explizit kein Stück von Mozart, dafür aber unter anderem die Suite Hellénique von Pedro Iturralde und zwei Teile aus Unfamiliar Territory von Michael Markowski spielt.

Wieder mit dem Bus bis ins Hoteldorf Grüner Baum. Nicht, um von dort auf den Gamskarkogel oder hinauf zum Reedsee zu steigen. Längst verworfen, diese Flachlandtirolerpläne. Zu steil, zu viele Höhenmeter. Einfach geradeaus bei mäßigem Anstieg zum Alpenhaus Prossau. Links und rechts des Weges Alpakas, lebensgroße Schnitzfiguren – die Heilige Familie neben einer weitgehend unbekleideten Frau mit großer Oberweite –, ein Stahlkunstpferd, eine Gedenktafel für die Opfer eines Lawinenunglücks, zwei echte Pferde. Gamsräudegebiet! Und immer wieder Hochwasserspuren, meist noch aus dem Jahr 2016, teilweise vom vergangenen August. Dazu siebenundzwanzig Jahre alte Föhnsturmschäden. Sonne und blauer Himmel setzen sich langsam durch. Ein kurzes Getränk und weiter hinein in den Talschluss, die Hintere Prossau, wohin die Leute mit ihren E-Bikes nicht folgen können. Am Ende des Weges noch ein Stück über Geröll klettern und im Felskessel lange die Stille genießen, die ohne die vielen Wasserfälle ringsherum herrschen würde. Keine Menschenseele weit und breit. Auf dem Rückweg Forelle essen sowie Gams- und Hirschwurst mitnehmen. Die Himmelwand so steil und felsig wie am Vormittag. Noch einmal die Kaiser-Wilhelm-Promenade entlang bis ins Hotel. Saisonende und Ruhetage lenken uns zu Holzknechtbrot ins Hexenhäusl. Drei Bier, keine Sterne in Athen, stattdessen Zirbenschnaps in Bad Gastein.

Andere Berge sehen und mit dem Bus nach Sportgastein. Enspannt den Themenweg Kleine Runde spazieren. Sonne, Aussicht und vielleicht ein Adler. Beim Essen im Valeriehaus an Verbotene Liebe denken und einem LKW beim Erklimmen des Berges zuschauen. Bus zurück und die fleißig erwanderte Bronzene Wandernadel erwerben. Kein Bock mehr auf irgendwas. Tasche packen, Whirlpool, gute Nacht.

Ein letztes Mal an der Tankstelle des Glücks von Friedrich Liechtenstein vorbei, erst zum Bäcker, dann zum Bahnhof. Rückfahrt abgesehen vom obligatorischen Bahnsteigwechsel kurz vor Abfahrt im Umsteigebahnhof problemlos. Strömender Regen in Berlin.

#BadGastein #Urlaub

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